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Nr. 8: Das Traumhaus im Tessin

Einer der wenigen Vorzüge meiner inwendig zu lärmigen Eigentumswohnung an der Zürcher Neptunstrasse waren die nahen Wege, je sieben Gehminuten ins Büro im Seefeld und in mein Stammlokal, dem Nachtklub „Terrasse“ am Bellevue. Hier bahnte sich die Entscheidung über den ersten gemeinsamen Wohnsitz mit meiner Frau an. Ohne dass wir Kenner des Tessins gewesen wären, verfielen wir auf den Plan, dort ein Haus zu kaufen und zu leben. Sie würde ihren Beruf als Kindergärtnerin aufgeben und ihre künstlerische Seite ausleben, und ich gedachte meinen Job als Redaktor eines Wirtschaftsverbandes beizubehalten, um am Wochenende mit dem Zug zu pendeln.

Während einer gemeinsamen Ferienwoche in Brissago am Lago Maggiore fuhren wir an den Lago di Lugano und lauschten auf einer Seefahrt dem Reiseführer: „Dort in Castagnola oberhalb der Villa Favorita des Barons Thyssen wohnen reiche Schweizer, Italiener und Deutsche.“ Aus rein verkehrstechnischen Gründen – direkte Zugverbindung Zürich-Lugano – entschieden wir, im Sottoceneri Umschau zu halten.

Da tauchte die Erinnerung an eine zufällige Begegnung im „Terrasse“ etwa zwei Jahre zuvor auf. Jener Studienfreund, der mir bereits die Eigentumswohnung vermittelt hatte, liess sich von einem älteren Zahnarzt Fotos von einem Tessinerhaus mit Seeblick zeigen. Dieser hoffte auf ein Interesse der Firma meines Freundes als Gästehaus. Unmittelbar nach unserer Tessiner Ferienzeit sass ich wie so häufig im „Terrasse“ beim Nachtessen mit ihm, als der Zahnarzt, seltener Gast, sich zu uns gesellte. Meine Frage, ob er sein Haus denn schon verkauft habe, verneinte er. Ich könne es aber gern besichtigen – in Castagnola! Noch aus dem Nachtklub rief ich aufgeregt meine spätere Frau an, um sofort einen Termin zu vereinbaren.

Und dann landeten wir an einem wundervollen Nordföhn-Novembertag 1980 an der Via Belvedere 1, die ihren Namen wahrhaftig verdient. Traumhafter Blick über den Lago di Lugano auf den San Salvatore, den Sighignola und den Monte San Giorgio. Absolute Südhanglage, Kamelien, Magnolien, Aprikosen, Reblaube mit Merlottrauben, alter Baumbestand mit Edelkastanien, Walnuss, Akazien. Das Haus selber war ein eher bescheidenes Ferienhaus mit fünf teils kleinen Zimmern, das unser Vorgänger 1953 hatte erstellen lassen. Was wir noch nicht wussten: Es stand in der dreigeschossigen Mehrfamilienzone mit einem zweideutigen Grundbucheintrag, der beim Verkauf noch eine vertrackte Rolle zu unserem Nachteil spielen sollte.

Meiner Frau kamen die Tränen, aber erst, als sie die altersgraue Küche sah, und schon senkte der Zahnarzt seine Preisvorstellung um 10‘000 Franken. Er fuhr mit uns im Zug heim nach Zürich, wo er eine Eigentumswohnung besass, und unterhielt uns mit Reminiszenzen seines Hobbys als Forellen- und Lachsangler bis Schottland und Alaska.

Unser Gespräch mit der Bank wirkte zusätzlich preissenkend. Die SBG-Filiale Lugano hatte einen Mitarbeiter an die Via Belvedere entsandt, der von aussen das 27-jährige Einfamilienhaus wegen notwendiger Malerarbeiten – die wir dann selber übernahmen – um 100‘000 unter der Preisvorstellung des Verkäufers einschätzte. Auf dieser Basis kam der Handel am Silvestertag 1980 zustande, ohne dass wir auch nur ein zweites Objekt besichtigt hätten. Innert neun Jahren verdoppelte sich dann der Preis nahezu. Ohne den erwähnten Passus im Grundbuch hätten es nochmals 150‘000 Franken mehr sein können. In den 41 Jahren zwischen 1948 und 1989 hatte sich der Landpreis um den Faktor 70 erhöht – ein Beispiel für Vermögenspreisinflation weit jenseits der uns vom Staat vorgegaukelten Teuerungsrate.